Übersetzung des Leitartikels der Tageszeitung "Timpul" in der Moldau vom 19. Februar 2007
Von Constantin Tanase (Redakteur der "Timpul", Anmerkung der Redaktion)

Albdruck loswerden. Über die stumme Mehrheit aus dem jetzigen Parlament habe ich schon geschrieben. Ich habe auch im Leitartikel vom Freitag "Wer wird in Chisinau die Katze zerreißen"? an sie erinnert. Am Freitag, gegen Ende der Plenartagung, als zwei Erklärungen der Opposition bekannt gemacht wurden, stand diese stumme Mehrheit auf und verließ den Saal. Dies stellt die Bestätigung ihrer Existenz dar. Auf diese Weise geht die kommunistische Fraktion jedes Mal vor, wenn die Opposition ans Hauptmikrofon tritt. Dieses Verhalten ist eine Reaktion des Stadions, der Herde, die eine bolschewistische Intoleranz, eine vollständige Verachtung für die Meinung der Minderheit, eine vollständige politische Unkultur offenbart. Eine nicht reformierte und reformunfähige Partei. Diese stumme Mehrheit unterscheidet sich in nichts von V. Voronin (Staatspräsident der Republik Moldau, Anmerkung der Redaktion), der eine vollständige und konstante Verachtung für die Opposition zeigt. Nachdem er sich nach seinem eigenen Bild eine "Opposition" ernannt hat, werden die Abgeordneten der Allianz Moldawien (AMN) und der Sozial-Liberalen Partei (PSL) wie Leprakranke mit offener Verachtung behandelt, als ob diese nicht ein Anteil von Wählerschaft unserer Gesellschaft wären, der auch über das Wortrecht und das Recht auf Respekt verfügt, und als ob das Parlament nicht eine Institution wäre, die, definitionsgemäß, die ganze Palette von politischen Optionen der Gesellschaft darstellt. Dieses Verhalten der stummen Mehrheit drückt ausgezeichnet die zutiefst antidemokratische Natur der Spitzenpartei aus -eine nicht reformierte und reformunfähige Linkspartei. Ich nehme heute an, dass es am 4. April 2005 einige Illusionen gab, was die Möglichkeit der Reformierung dieser Partei anbetrifft. Heute sehen wir, dass Voronin alle betrogen hat und dass nicht eine von "zehn Bedingungen" erfüllt worden ist. Was die Direktübertragung von Parlamentssitzungen im eigenen Fernsehen anbetrifft, haben wir allen Grund zu vermuten, dass, je näher wir der Wahlkampagne kommen, diese eingestellt werden wird. Dulden kann diese Mehrheit die Direktübertragungen nicht; wenn sich die Kameras und Mikrofone des Fernsehens einschalten, wird der stummen Mehrheit schwindlig, sie stöhnt. Sie wird nicht mehr tolerieren, dass die Opposition zweimal pro Woche Zugang zum Fernsehen hat. Zwei stumme Mehrheiten. In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine fast verallgemeinerte Meinung eingehen, die auch wir als Journalisten ausdrücken, demgemäß ist die Opposition schwach (wenn wir "Opposition" sagen, denken wir nur an die politischen Parteien). Ja, die Opposition ist schwach. Wir möchten jedoch eine Sache präzisieren: Die Opposition ist schwach in einer nicht demokratischen Gesellschaft. Je diktatorischer ein Regime ist, umso schwächer ist die politische Opposition. Eine starke Opposition kann nicht dort existieren, wo das Regime seine politischen Opponenten hinter Schloss und Riegel bringt. Dies einerseits. Andererseits vergessen wir, dass es unter normalen Bedingungen außer der politischen Opposition auch eine nicht politische "unparteiliche" Opposition gibt, die Opposition der bürgerlichen Gesellschaft. Bei uns gibt es sie nicht mehr. Dem Voronin-Regime ist es gelungen, die Gesellschaft zunichte zu machen, zum Schweigen zu bringen, sie in eine riesige stumme Mehrheit zu verwandeln. Wir haben also zwei stumme Mehrheiten, eine im Parlament und eine in der Gesellschaft.

Original und Kopie
Das Regime tut sein Bestes, dass wir alle stumm werden. Nur auf Befehl sprechen. Nur mit polizeilicher Genehmigung denken. Nur in Kolonnen marschieren: eins- zwei, eins- zwei! Linksum! Rührt euch! Keinen Schritt nach links. Keinen Schritt nach rechts. Sonst schieße ich. Einstweilen bekommen es die Journalisten (wie tatsächlich passiert) mit der Brechstange über den Kopf geschlagen. Sie erschlagen moralisch die Eliten, die nicht unter ihrer roten Fahne stehen. Einstweilen. Morgen werden sie aus der Maschinenpistole schießen. Unter derartigen Bedingungen kann eine starke Opposition nicht entstehen. Dies ist selbstverständlich keine Entschuldigung, weder für die politische Opposition noch für die bürgerliche Gesellschaft. Wir müssen die Angst aus uns vertreiben, Risiken übernehmen, den Mut haben "NEIN" zu sagen, selbst wenn alle "JA" sagen. So stark dieses Regime auch seine Muskeln aufbläst, es bleibt eine Seifenblase. Schien denn die Sowjetunion nicht ewig zu sein? Mit ihren Atombomben, mit ihrer Armee und Sicherheit, mit ihrer unbesiegbaren kommunistischen Partei, mit der unerschütterlichen Allianz zwischen Partei und dem Volk, mit der ewigen Freundschaft unter den Völkern usw. Dieser Koloss brach zusammen wie ein Kartenhaus. Und er brach nicht unter dem Druck der Oppositionsparteien (die es nicht gab!) zusammen, sondern unter dem Druck der Gesellschaft. Warum sollen wir einen langfristigen Kredit dem durch Voronin installierten Regime gewähren, das, immerhin, eine elende Nachahmung eines durch die Geschichte invalidisierten Originals ist?! Wenn das Original invalide geworden ist, wird auch die Kopie invalide. Das Wichtigste ist an der Krippe zu bleiben Betrachten wir bitte dieses Regime doch einmal genauer: Wer sind seine Architekten, Ideologen, Leierkastenmänner? Lügner und Raffer aller Art. Diese werden als Erste zu Verrätern, sobald sie spüren, dass der Wind sich dreht. Heute sind sie für den Staat, morgen, wenn es nötig wird, werden sie zu Unionisten. Heute sind sie Kommunisten, morgen - Liberale. Kein Problem, das Wichtigste ist, an der Krippe zu bleiben. Voronin ist sehr naiv, wenn er glaubt, dass seine heutigen Schmeichler ihm auch in bösen Tagen die Treue halten werden. Diejenigen, die ihm heute dienen, haben gestern anderen Präsidenten gedient, und morgen werden sie dem künftigen Staatsoberhaupt dienen. Obwohl Voronin sie heute ernährt, sie stehlen lässt, sie auszeichnet, werden sie ihn bei passender Gelegenheit verlassen und in ein anderes Boot umsteigen. Ein Regime, das auf solchen Stützen steht, kann nicht lange überleben. Die Kommunisten fühlen, dass sich ihre Lage mit jedem Tag verschlimmert, deshalb werden sie immer aggressiver, intoleranter, "ziehen die Schrauben an". Ihr vorrangiges Ziel heute ist die Diskreditierung der politischen Opposition und der Persönlichkeiten, die absagen, ihrem Heer beizutreten. Die nicht dem Heer beigetretenen Eliten werden dargestellt, als würden sie aus "marginalen" und "geistig behinderten", "realitätsfremden" Individuen, " die einigen fremden Mächten dienen", "Feinde ihres eigenen Volkes sind", bestehen.
Denkende Mehrheit!
Der Albdruck, in dem wir ab 2005 leben, kann nicht lange dauern. Der politische Mutant, geboren am 4. April 2005, hat den Moldawiern das versprochene Glück nicht gebracht. Moldawien hat sich von Europa immer weiter entfernt und immer mehr Russland genähert, die Regierung ist immer volksfeindlicher geworden, der Massenmedienmarkt ist durch die regierende Koalition monopolisiert worden, die Teilung der Gewalten im Staat ist zu einer Fiktion geworden, die Macht ist durch eine Mafiagruppe, mit Voronin an der Spitze, usurpiert worden, die Entvölkerung der Republik dauert fort, und die Triumphmärsche, gespielt durch die Präsidentenfanfare, können die Trauermusik, die aus den Dörfern dringt, nicht verstummen lassen. Die Moldawier sind wieder Menschen zweiter Klasse geworden, man greift ihre Geschichte, ihre Sprache, ihre Seele an. Diejenigen, die noch fliehen können, fliehen. Diejenigen, die nicht fliehen können, bleiben hier und schweigen. Sie werden zu einer stummen Mehrheit. Wie den Albdruck los werden? Sehr einfach: die Fensterläden aufmachen, um Licht hereinkommen zu lassen, "NEIN" sagen, wenn alle "JA" sagen, anfangen wieder zu denken und zu sprechen, das zu werden, was wir sein müssen - eine denkende und sprechende Mehrheit, Herr im eigenen Hause ... Soweit der Bericht in der Tageszeitung "Timpul".