Langsamer Fortschritt im unendlichen Nichts

Zum vierten Mal reiste ich in die Republik Moldau, diesmal allein, weil
Dirk Hartig wegen der Baumaßnahmen an der Schule vorzeitig in die Moldau
reisen musste. Mein alter Freund Walter Dunzweiler von der Firma Synthes,
der der Uniklinik in Chisinau die Osteosynthesematerialien zur Verfügung
gestellt hat, konnte auf Grund beruflicher Ereignisse leider nicht
mitkommen.
Mein Flug ging, wie das letzte Mal auch, von Stuttgart über Temesvar in
Rumänien nach Chisinau. Dort wurde ich von einer kieferchirurgischen
Kollegin in Empfang genommen.

Jene Kollegin war eine sehr gute Bereicherung für diesen Aufenthalt, da sie
zum einen ein sehr gutes Englisch sprach und zum anderen über fundierte
kieferchirurgische Kenntnisse verfügte, was die Übersetzung bei meinen
diesjährigen Vorträgen sehr viel leichter machte und es den Kollegen
ermöglichte, entsprechende Rückfragen stellen zu können.

Den ersten großen Schreck bekam ich jedoch gleich am ersten Abend, als ich
mir die von mir zu operierenden Patienten anschauen sollte. Es handelte sich
um Patienten mit größeren Gewebedefekten im Bereich der Mundhöhle, und meine
Kollegen an der Uniklinik in Chisinau hatten mehrfach probiert, diese Defekte
zu decken, was ihnen allerdings immer misslang.

Bei genauer Inspektion stellte ich jedoch fest, dass dies kein rein
chirurgisches Problem, sondern vielmehr ein mikrobiologische Problem war. Ich
vermutete, dass bei allen Patienten eine spezielle Infektion
vorliegt, wie sie meistens nur in Krankenhäusern zu finden ist. Eine
derartige Infektion nennt man eine „nosokomiale“ Infektion.

Da die mikrobiologischen Analysen offensichtlich an der Uniklinik in
Chisinau, wenn sie denn vorhanden sind, nur äußerst rudimentären Charakter
haben, war eine Isolierung des Keimes nicht möglich. Ich entschied mich,
entsprechende Gewebeproben zu entnehmen, um sie dann später in Deutschland
von dem Labor Brunner in Konstanz mikrobiologisch untersuchen zu lassen.

Die Untersuchung von Herrn Dr. Brunner und seiner Tochter Frau Dr. Brunner-
Zillikens bestätigten nach meiner Rückkehr aus der Moldau meinen dort
geäußerten Verdacht, dass hier ein multiresistenter Keim vorliegt, der
entsprechende Krankheitsbilder auslösen kann.

Ich empfahl den Kollegen, die Antibiose entsprechend des
Antibiogrammes umzustellen, womit meine Moldauer-Kollegen die Infektion
zumindest eindämmen können und Patienten, bei denen das Krankheitsbild
beginnt, von Anfang an entsprechend antibiotisch behandeln können.

Dieser anfängliche "Schock" saß natürlich tief. Ich war äußerst betroffen
über die noch immer minimalen Möglichkeiten meiner kieferchirurgischen
Kollegen an der Uniklinik in Chisinau. In meiner Klinik in Konstanz hätte
ich derartige Patienten problemlos behandeln können.

Nebenbei führte ich bei den Patienten auch noch weitere Untersuchungen
durch. Sie hatten alle eine Hepatitis C, das heißt eine durch
Blutstoff übertragene Hepatitis, die zu schwer wiegenden Lebererkrankungen
führt. Außerdem war ein Patient HIV-positiv. Diese Untersuchungen bzw. die
Ergebnisse dieser Untersuchungen hatten meine moldauischen Kollegen nicht.
Ich frage mich dann oft, wie sie sich selbst überhaupt in diesem Chaos
schützen können.

Was mich diesmal auch wieder tief beeindruckt hat, war, dass während meiner
Zeit in der Moldau die Kollegen ständig zur Verfügung standen. Ich hatte
Gott sei Dank eine Vielzahl von Vorträgen dabei, so dass ich die
ausgefallenen OPs mit Vorträgen füllen konnte.

Sehr erfreulich war, dass auch diesmal meine Vorträge auf eine große
Resonanz stießen. Trotz der Ferienzeit waren die Hörsäle voll.
Besonders erfreut war ich darüber, dass ein kleines
kieferchirurgisches Blümchen zu wachsen scheint. So habe ich damals mit den
Kollegen besprochen, dass zwischen jedem Vortrag, den ich halte, mindestens
ein anderer moldauischer Vortrag gehalten werden muss.

Deshalb hatten meine Kollegen entsprechende Vorträge vorbereitet. Ich hörte
einen Vortrag über Osteosyntheseverfahren. Dieser Vortrag fußte maßgeblich
auf den Materialien, die von Walter Dunzweiler, Pro Humanitate und mir in
die Moldau "importiert" wurden.

Ein weiterer Vortrag beschäftigte sich mit Möglichkeiten der intermaxillären
Fixierung, das heißt den Verschluss von Ober- und Unterkiefer um die
Kiefersegmente bei entsprechenden Frakturen ruhig zu stellten. Dann gab es
noch Vorträge über die Rekonstruktion von Nasen-, Lippen- und
Ohrdefekten. Auch gab es wieder großes Interesse an der
Implantologie. Allerdings ist aus meiner Sicht der Therapiestandard
speziell in meiner Klinik in Konstanz so weit von den
Therapiemöglichkeiten in der Moldau entfernt, dass ich mich immer
schwer tue, unser Therapieschema dort zu präsentieren.

Letztendlich haben die Kollegen jedoch ein reges Interesse bekundet, zumal
ich in diesem Jahr schon zwei internationale Publikationen geschrieben habe,
die die moldauischen Kollegen über Internet kannten. Deshalb fand
gerade bei dem Thema Implantologie dieses Jahr dort eine rege Diskussion statt.

Während meines Aufenthaltes an der Uniklinik konnte ich mich auch davon
überzeugen, dass unser Narkosegerät regelmäßig in Gebrauch ist, sehr gut
gewartet wird und somit seinen Zweck voll erfüllt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Hilfe, die jetzt dort in den
letzten vier Jahren stattgefunden hat, sicherlich auf fruchtbaren Boden
gefallen ist. Bei jedem erneuten Besuch tun sich allerdings immer wieder
größere "Abgründe" auf, so dass ich mir natürlich die Frage stelle, ob hier
irgendwann mal ein Ende abzusehen ist.

Ich vereinbarte mit den Kollegen in der Moldau, sie im Mai des nächsten Jahres erneut
zu besuchen, wünsche mir von Herzen, dann dort wieder kleine
Fortschritte sehen zu können, worüber ich Ihnen dann erneut berichten werde.

Mit vielen Grüßen aus Konstanz

gez.
Dr. Dr. Frank Palm
Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurg

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